Journal

Im Sog von Farbe und Figur

Rede zur Eröffnung der Ausstellung in der galerie futura, Berlin 2007

Der Titel dieser Präsentation Im Sog von Farbe und Figur ist zugleich gültiger Ausdruck der konzeptionellen Auswahl aus dem breit angelegten Oeuvre der Künstlerin Sabine Schneider, wie es sich mir in seiner Essenz vermittelt. Die Suggestivwirkung ihrer Arbeiten, der sich kaum ein Betrachter zu entziehen vermag, gewinnt ihre Kraft aus dem dualen Zusammenspiel rhythmischer Farbräume und ihrer eingeschriebenen Figurationen. Die Figurengruppen sind durch sich stark auflösende bis verschwimmende Konturen charakterisiert, akzentuiert durch realistisch betonte zeichnerische Elemente, wie das immer wieder auftauchende Sujet eines Beines oder Fußes, der aus dem Bild herauszuragen scheint, um die Boden- und Erdhaftung zu betonen. Dieser konkrete Bezug zur Diesseitsrealität scheint bewusst angelegt in Arbeiten, die eher einen transzendenten Farb- und Bewegungsraum beschwören. Zu diesem offensichtlichen Eindruck tragen vor allem die Wahl und Betonung der Primärfarben – rot, blau und gelb – und ihre kunsthistorischen Konnotationen bei – etwa die Farbe Blau und ihre Abstufungen der hellen Töne als Ausdruck für Sehnsucht und Transzendenz, der tiefdunklen für Vertrauen und meditative Ruhe, der Farbe Rot für Lebendigkeit und vitale Energie und der Lichtfarbe Gelb. Sabine Schneider spielt auf dieser Klaviatur polyphoner Farbwerte, ergänzt durch dezent eingesetzt Farbnuancen aus dem Bereich der Sekundärfarben.

Das duale Spiel der roten und blauen Farbspektren gewinnt einerseits seine Sogwirkung durch ihr energetisches Kräftemessen und ist andererseits eingewoben in ein Lichtumfeld bis ins Detail der Figurationen, so dass die vehemente Dynamik der Bildkomposition in der
überstrahlenden Lichtsymbolik mit ihrem diesseitsentrückten Kontext ihre Balance sucht und findet. Dies alles entwickelt die Künstlerin mit virtuos kraftvollem Malgestus in grosszügigen Flächendimensionen von Diptychen und Triptychen. Die eingeschriebenen figürlichen Kompositionen fallen dabei durch ihr internes Bewegungsspiel ins Auge, dem jeder Stillstand und jede Statik fremd zu sein scheint.
Figuren, einzeln oder in der Gruppe, scheinen getrieben durch einen Bewegungsimpuls, der ungezielt, planlos und oft chaotisch anmutend gespeist wird. Sie kreisen in einem Wirbel um sich selbst oder werden als amorphe Gruppe in einen Energiewirbel hineingezogen, dem sie machtlos ausgesetzt sind und dem sie sich zu fügen haben. Dazu passen die Titel der Arbeiten Zuströmung, Fliegende Schwimmer, Freier Fall, Unwahrscheinlich, Himmel oder Lebensfries.

Hier klingt das künstlerische Thema von Sabine Schneider an, ihr lebenskluger Blick auf das Wesentliche, nicht als Wissende, sondern als Fragende, die den Betrachter mit hinein nimmt in die existentielle Fragehaltung des Wie – Wohin – Wozu unseres Lebens, das sich jeder
endgültigen Definition entzieht, aber in seinem unbestimmbaren Prozess des Werdens und Vergehens im ewigen Fluss erfahrbar wird.

Bewegungsrichtungen in den als Diptychon oder dreiteilig angelegten Arbeiten streben einerseits voneinander weg, in den offenen Raum über die Bildgrenzen hinaus oder konzentrieren sich in der Bildmitte. Sie bewegen sich zum Zentrum hin oder schöpfen ihre Kraft genau aus dieser Mitte. Die Einzel-Arbeiten richten ihren Focus dagegen eher auf die Kreisbewegung, die sich aus dem Chaos des Anfangs zu kristallisieren sucht. Neben dem Zyklus thematisch verwandter Leinwandarbeiten hat die Ausstellung zusätzlich Arbeiten aus zwei früheren Werkzyklen ausgewählt, die den Ursprung der künstlerischen Idee veranschaulichen. So zeigt der vordere Raum in den großformatigen Zeichnungen und dem Leinwand – Diptychon das Thema Paare. Gerade in diesen Zeichnungen lasst sich die Herkunft der Figur in ihrer gegenständlichen
Ausformung als Einzelfigurine erkennen, der es, an dem Symbol der Säule orientiert, um die Aufrichtung des Menschen von seiner anthropologischen Anlage her geht, den aufrechten Gang als verpflichtendes Ideal – von der Statik in die bewegte Balance. Konsequent verfolgt der künstlerische Weg Sabine Schneiders den Einzelnen in seiner Welt – zu der Begegnung mit dem Anderen – bis hin zu der menschlichen Gemeinschaft – nicht als sozialpolitische sondern als Wesenskategorie.

Die vier Zeichnungen im oberen Raum, die aus einer aktuellen Werkserie ausgewählt sind, scheinen beim ersten Blick aus dem konzeptionellen Zusammenhang heraus zu fallen., weil sie aus einem abstrakten Bildkosmos von Zeichen entwickelt sind. Aber auch diese Arbeiten greifen das Thema der Strömungen und fließenden Bewegungsabläufen in ihrer Zeichensprache auf, entwickeln mit gleichzeitig zartem und kraftvollem Strich ein Universum organischer Vielfalt, die sich zu einem gültigen Sinnbild kosmischer Ordnung verdichtet.
Im Mittelpunkt des Werks von Sabine Schneider steht der Mensch in der Kreatürlichkeit seines Körpers und seiner anthropomorphen Gestalt – in seiner ungezielten Suchbewegung nach sich selbst im kosmischen Raum. Die Künstlerin begegnet dabei dem Betrachter bewusst auf Augenhöhe und macht ihn zum Zeugen individueller Erfahrungen, obwohl diese Arbeiten dazu verführen, sie sich als Gewölbemalereien in sakralen Räumen vorzustellen mit gen Himmel gewandtem Blick.

Sie entwickelt in einem elementaren Schöpfungsakt von Farbenergien und Bewegungsspiel die uralte Menschheitsfrage nach dem Prozess des Seins und Werdens als suggestive künstlerische Metapher. Sie überzeugt dabei durch ihre vibrierend farbige Bildsprache und die emotionale Kraft ihrer Farbqualität in manchmal sanft empfindsamen, mal rauschhaften musikalischen Farbakkorden.

Im Sog von Farbe und Figur steht als Titel und Tenor dieser Ausstellung voran und nimmt damit Bezug auf die Definition der Farbe in ihrer realen Strahlungswirkung bei Johannes Titten in seinem Standardwerk Kunst der Farbe. Dort heißt es: Farben sind Strahlungskräfte, Energien, die auf uns in positiver oder negativer Weise einwirken, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht.

Setzen wir uns also diesem Sog aus!

Uta Koch-Götze M. A.