Journal

Von der Figur zur reinen Farbigkeit

Katalogtext zur Ausstellung „CIS & TRANS“ aus 2011

„Leichtes Spiel“ lautete der Titel eines Aquarells von Sabine Schneider aus dem Jahr 2000. Linien führen auf weißem Grund einen leichtfüßigen Tanz auf, verdichten sich zu farbigen Flächen, lösen sich. Eine konkrete Gestalt ist nicht erkennbar. Anders bei den Bildern zum Thema ‚Strömungen’, ebenfalls aus dem Jahr 2000. Hier lösen sich Formen, werden zu unbestimmten Schemen in einem wie von Schleiern eingefassten Raum. Zwar sind auch hier keine konkreten Anatomien sichtbar, aber Köpfe, Körper, Gliedmaßen scheinen sich aus dem Farbraum hervor zu schälen.

Die beiden Bilder können beispielhaft für die künstlerische Position gesehen werden, zu der Sabine Schneider gefunden hat. Weg von der Figur, hin zu reinen Farbschwingungen entwickeln sich die Bilder von Sabine Schneider.

Frühere Arbeiten ließen statische Arrangements erkennen, die teils wie aus Stein gemeißelt vor wolkigem Hintergrund standen oder sich in dunklen Räumen zu mysteriösen Konfi gurationen zusammen fanden. Auf neueren Bildern entwickeln sich Farbstimmungen ohne einen erkennbaren Bezug zur Figur. Ölbilder und Zeichnungen zeigen freie Bögen von Farben, die wie durch ein Prisma aufgesplittert wirken.

Um zu dieser Freiheit zu gelangen, ist Schneider eine erhebliche Wegstrecke gegangen. Studiert hat Sabine Schneider bei Wolfgang Petrick, der sich ganz der fi gürlichen, themenbezogenen Darstellung verschrieben hat. Daher wundert es nicht, dass auch die frühen Bilder aus den Jahren
unmittelbar nach ihrem Studium zunächst einer gegenständlichen Position verhaftet sind. Auch diese teilweise monumental erscheinenden Figuren schwanken jedoch zwischen Abstraktion und der konkreten Ausformung einer Pose, einer Haltung. Ein Hintergrund wird allenfalls angedeutet, aber nicht ausformuliert. Er dient dazu, einen Gesamtklang zu unterstreichen.

Auffallend ist jedoch, dass die Figuren schon hier in einem Aufl ösungsprozess begriffen sind, wie er sich in späteren Bildern fortsetzten soll. „Frühlingshafte Begegnung“ ist der Titel eines zweiteiligen Bildes aus dem Jahr 1993. Körper sind zwar noch erkennbar, aber weitgehend in Farbfelder überführt. Auch der ‚Feuertanz’ aus dem selben Jahr schildert sein Thema zwar mit einer entsprechend feurigen Farbigkeit, auch deutet Schneider ein erkennbar massives Körpervolumen an, aber es wird immer deutlicher, dass ihr Thema nicht die individuelle Figur ist. Hervor tritt das Interesse der Künstlerin an Stimmungen und Spektren, die sich jenseits einer thematisch zentrierten Malerei ergeben.

Die Hinwendung zum freien Klang setzt sich in Bildern wie „Akrobatische Figur“ aus dem Jahr 2008 fort. Hier sind zwar einzelne Gliedmaßen erkennbar, fi gürlich zuzuordnen sind sie allerdings kaum noch. Ein Gesicht taucht auf, ein Arm, ein Fuß. Wesentlich für das Bild aber ist der weiße, von Licht durchfl utete Raum, der die Figur umgibt. Entscheidend ist der Farbfl uss, die Dynamik der Szenerie und die endgültige Aufl ösung von Körperlichkeit in reinen Farbstrukturen. So entsteht eine poetische Stimmung, die den Betrachter dazu einlädt, durch die fein gestuften Farbigkeiten zu wandern.

Den dort begonnenen Weg setzt Schneider mit ihren ganz aktuellen Bildern fort, die Anklänge an kalligrafi sche Strukturen aufweisen. Sie habe sich zwar nur kurz in Asien aufgehalten, dennoch hätte die dortige Zeichenkunst einen Eindruck in ihren Bildern hinterlassen, stellt Schneider fest. Schwarze Tuschzeichnungen, auf denen Pinselschwünge frei über der Papierfl äche zu schweben scheinen, bestätigen diesen Eindruck. Schneider verstärkt ihn durch Schatten, die sie mit farbigem Stift zeichnet. So entstehen Bildelemente, die jeden fi guralen Bezug abgestreift haben und sich völlig auf den elementaren Ausdruck von reiner Linie und Form konzentrieren. Hierbei erreicht Schneider eine Freiheit des Strichs, die sich ansonsten in chinesischer Kalligrafi emfindet. Die Verwandtschaft entsteht nicht zuletzt deshalb, weil Schneider das gleiche Zeichengerät wie die asiatischen Meister benutzt, feinhaarige, breite Pinsel.

Die Leichtigkeit der Pinselzeichnungen überträgt die Künstlerin ebenfalls in ihre aktuelle Ölmalerei. Farbige Bänder verwirbeln und überlagern sich, tauchen ein in den Raum und werden doch von schillernden Schleiern eingeschlossen. Die Bewegung tritt hier noch stärker in den Vordergrund als in den Bildern vergangener Jahre. Dennoch interessiere sie nicht die Geste an sich, erklärt die Malerin. Anders als es bei den Tachisten der Fall war, ist Schneider die ausformulierte Bildfindung und nicht das Zufallsprodukt einer heftigen, und letztlich willkürlichen, Bewegung wichtig. Hier erinnert die Art, in der sie ihre Bilder konstruiert und schichtet, an die von schwebenden Himmelsfi guren durchsetzten Bilder, beispielsweise von Tiepolo. Dies rührt nicht zuletzt daher, dass Schneider sich intensiv mit barocker Malerei auseinandergesetzt und deren Bildfindungen in ihre künstlerische Sprache übersetzt hat. Figurenkonstellationen, wie bei Caravaggios
„Sieben Werke der Barmherzigkeit“ oder in seiner „Grablegung Christi“ oder bei den himmelwärts strebenden Figuren Carraccis fi nden sich auch in den abstrakter gehaltenen Gemälden Schneiders. Während diese jedoch in aller Regel ein zumeist in der christlichen Mythologie verhaftetes Thema bebildern wollten, strebt Schneider ein fragiles Gleichgewicht der dem Bild innewohnenden malerischen Kräfte an. Dynamische Formen drängen zusammen und streben auseinander. Gegenständliches wird andeutet und dann doch wieder verworfen. Hier sucht die Künstlerin nach einem Gleichgewicht und einem harmonischen Klang.

Letztlich fi nden sich differenzierte Formulierungen fein gestufter Farbigkeit. Verbunden werden sie durch gestisch wirkende Elemente, diese aber sind eingebunden in einen vielfältig klingenden Farbraum. Auch ohne einen Titel entfalten die Bilder ihre Kraft durch die Konzentration auf das reine Spiel mit dem Raum und der Fläche. Durch einen freien Umgang mit dem gestalterischen Element der Linie und einer erheblichen Sensibilität für die einzelne Farbstimmung ist in den neueren Bildern von Sabine Schneider, den „Dancing lines“, die Malerei selbst und die Harmonie des Dargestellten das Thema.

„Leichtes Spiel“ lautete der Titel eines Aquarells von Sabine Schneider aus dem Jahr 2000. Linien führen auf weißem Grund einen leichtfüßigen Tanz auf, verdichten sich zu farbigen Flächen, lösen sich. Eine konkrete Gestalt ist nicht erkennbar. Anders bei den Bildern zum Thema ‚Strömungen’, ebenfalls aus dem Jahr 2000. Hier lösen sich Formen, werden zu unbestimmten Schemen in einem wie von Schleiern eingefassten Raum. Zwar sind auch hier keine konkreten Anatomien sichtbar, aber Köpfe, Körper, Gliedmaßen scheinen sich aus dem Farbraum hervor zu schälen.

Die beiden Bilder können beispielhaft für die künstlerische Position gesehen werden, zu der Sabine Schneider gefunden hat. Weg von der Figur, hin zu reinen Farbschwingungen entwickeln sich die Bilder von Sabine Schneider.

Frühere Arbeiten ließen statische Arrangements erkennen, die teils wie aus Stein gemeißelt vor wolkigem Hintergrund standen oder sich in dunklen Räumen zu mysteriösen Konfi gurationen zusammen fanden. Auf neueren Bildern entwickeln sich Farbstimmungen ohne einen erkennbaren Bezug zur Figur. Ölbilder und Zeichnungen zeigen freie Bögen von Farben, die wie durch ein Prisma aufgesplittert wirken.

Um zu dieser Freiheit zu gelangen, ist Schneider eine erhebliche Wegstrecke gegangen. Studiert hat Sabine Schneider bei Wolfgang Petrick, der sich ganz der fi gürlichen, themenbezogenen Darstellung verschrieben hat. Daher wundert es nicht, dass auch die frühen Bilder aus den Jahren
unmittelbar nach ihrem Studium zunächst einer gegenständlichen Position verhaftet sind. Auch diese teilweise monumental erscheinenden Figuren schwanken jedoch zwischen Abstraktion und der konkreten Ausformung einer Pose, einer Haltung. Ein Hintergrund wird allenfalls angedeutet, aber nicht ausformuliert. Er dient dazu, einen Gesamtklang zu unterstreichen.

Auffallend ist jedoch, dass die Figuren schon hier in einem Aufl ösungsprozess begriffen sind, wie er sich in späteren Bildern fortsetzten soll. „Frühlingshafte Begegnung“ ist der Titel eines zweiteiligen Bildes aus dem Jahr 1993. Körper sind zwar noch erkennbar, aber weitgehend in Farbfelder überführt. Auch der ‚Feuertanz’ aus dem selben Jahr schildert sein Thema zwar mit einer entsprechend feurigen Farbigkeit, auch deutet Schneider ein erkennbar massives Körpervolumen an, aber es wird immer deutlicher, dass ihr Thema nicht die individuelle Figur ist. Hervor tritt das Interesse der Künstlerin an Stimmungen und Spektren, die sich jenseits einer thematisch zentrierten Malerei ergeben.

Die Hinwendung zum freien Klang setzt sich in Bildern wie „Akrobatische Figur“ aus dem Jahr 2008 fort. Hier sind zwar einzelne Gliedmaßen erkennbar, fi gürlich zuzuordnen sind sie allerdings kaum noch. Ein Gesicht taucht auf, ein Arm, ein Fuß. Wesentlich für das Bild aber ist der weiße, von Licht durchfl utete Raum, der die Figur umgibt. Entscheidend ist der Farbfl uss, die Dynamik der Szenerie und die endgültige Aufl ösung von Körperlichkeit in reinen Farbstrukturen. So entsteht eine poetische Stimmung, die den Betrachter dazu einlädt, durch die fein gestuften Farbigkeiten zu wandern.

Den dort begonnenen Weg setzt Schneider mit ihren ganz aktuellen Bildern fort, die Anklänge an kalligrafi sche Strukturen aufweisen. Sie habe sich zwar nur kurz in Asien aufgehalten, dennoch hätte die dortige Zeichenkunst einen Eindruck in ihren Bildern hinterlassen, stellt Schneider fest. Schwarze Tuschzeichnungen, auf denen Pinselschwünge frei über der Papierfl äche zu schweben scheinen, bestätigen diesen Eindruck. Schneider verstärkt ihn durch Schatten, die sie mit farbigem Stift zeichnet. So entstehen Bildelemente, die jeden fi guralen Bezug abgestreift haben und sich völlig auf den elementaren Ausdruck von reiner Linie und Form konzentrieren. Hierbei erreicht Schneider eine Freiheit des Strichs, die sich ansonsten in chinesischer Kalligrafi emfindet. Die Verwandtschaft entsteht nicht zuletzt deshalb, weil Schneider das gleiche Zeichengerät wie die asiatischen Meister benutzt, feinhaarige, breite Pinsel.

Die Leichtigkeit der Pinselzeichnungen überträgt die Künstlerin ebenfalls in ihre aktuelle Ölmalerei. Farbige Bänder verwirbeln und überlagern sich, tauchen ein in den Raum und werden doch von schillernden Schleiern eingeschlossen. Die Bewegung tritt hier noch stärker in den Vordergrund als in den Bildern vergangener Jahre. Dennoch interessiere sie nicht die Geste an sich, erklärt die Malerin. Anders als es bei den Tachisten der Fall war, ist Schneider die ausformulierte Bildfindung und nicht das Zufallsprodukt einer heftigen, und letztlich willkürlichen, Bewegung wichtig. Hier erinnert die Art, in der sie ihre Bilder konstruiert und schichtet, an die von schwebenden Himmelsfi guren durchsetzten Bilder, beispielsweise von Tiepolo. Dies rührt nicht zuletzt daher, dass Schneider sich intensiv mit barocker Malerei auseinandergesetzt und deren Bildfindungen in ihre künstlerische Sprache übersetzt hat. Figurenkonstellationen, wie bei Caravaggios
„Sieben Werke der Barmherzigkeit“ oder in seiner „Grablegung Christi“ oder bei den himmelwärts strebenden Figuren Carraccis fi nden sich auch in den abstrakter gehaltenen Gemälden Schneiders. Während diese jedoch in aller Regel ein zumeist in der christlichen Mythologie verhaftetes Thema bebildern wollten, strebt Schneider ein fragiles Gleichgewicht der dem Bild innewohnenden malerischen Kräfte an. Dynamische Formen drängen zusammen und streben auseinander. Gegenständliches wird andeutet und dann doch wieder verworfen. Hier sucht die Künstlerin nach einem Gleichgewicht und einem harmonischen Klang.

Letztlich fi nden sich differenzierte Formulierungen fein gestufter Farbigkeit. Verbunden werden sie durch gestisch wirkende Elemente, diese aber sind eingebunden in einen vielfältig klingenden Farbraum. Auch ohne einen Titel entfalten die Bilder ihre Kraft durch die Konzentration auf das reine Spiel mit dem Raum und der Fläche. Durch einen freien Umgang mit dem gestalterischen Element der Linie und einer erheblichen Sensibilität für die einzelne Farbstimmung ist in den neueren Bildern von Sabine Schneider, den „Dancing lines“, die Malerei selbst und die Harmonie des Dargestellten das Thema.

Richard Rabensaat